Theoretischer Hintergrund

Aufstellungen - Theoretischer Hintergrund

Es gibt in meiner Aufstellungsarbeit drei Dimensionen:
 
1. Das Selbst
 
Unter dem Selbst verstehe ich Ihre von Geburt mitgegebene Einzigartigkeit. Dieses Selbst hat, wie eine Rose, ihren Wert und ihre Würde in sich selbst, ohne etwas leisten oder gefallen zu müssen, oder gebraucht zu werden. Damit sich dieses Selbst entfalten und manifestieren kann, benötigt es Raum und Achtung – zunächst von den Eltern und später von Ihnen selbst.
 
2. Der Raum
 
Raum für Sie selbst entsteht durch die klare Grenze nach außen, gegenüber dem Nicht-Selbst. Sie können lernen, diesen Raum für sich zu kreieren. Diesen Raum in Besitz zu nehmen, ihn also frei zu halten für Ihr  Selbst, Ihr Ur-Eigenstes, ist die Voraussetzung für echte(s)
 
  • Selbst-Vertrauen,
  • Selbst-Bewusstsein,
  • Selbst-Bestimmung und damit auch
  • Selbst-Verantwortung,
im Ergebnis also Autonomie.
 
3. Die Grenze 
 
Die Grenze zwischen Ihrem Selbst und dem Außen wird in der Aufstellung symbolisch sichtbar und dadurch bewusst und erfahrbar gemacht. Sie ermöglicht es, hilfreiche und wirksame Lösungsstrategien und Alternativen zu entwickeln. Durch die Einbeziehung des Körpers als erfahrende und fühlende Ebene können alte Muster rascher aufgelöst werden.
 
Weitere wichtige Begriffe:
 
Introjekt
 
Eine Introjektbildung (von lateinisch intro=hinein und iacere=werfen) findet in der frühen Kindheit statt und meint die Aufnahme und Verinnerlichung äußerer Realitäten, fremder Anschauungen, Motive, Werte und Normen in das eigene Ich. Das betreffende Objekt bzw. die betreffenden Objektqualitäten werden auch als Introjekt bezeichnet. Bei Traumatisierungen spielt v.a. auch das Täterintrojekt eine zentrale Rolle. Für uns ist wichtig: das Introjekt verdrängt das Selbst von seinem Platz, übernimmt diesen Platz und erschwert so die Unterscheidung von Selbstund Nicht-Selbst. Das kann dazu führen, dass Menschen Neues im Leben nicht auf die Verträglichkeit für das eigene Leben überprüfen können. Die Bewusstheit ist an der Grenze reduziert oder nicht mehr vorhanden und somit werden schädigende Fremdkörper immer wieder hereingelassen. Es fehlt sozusagen das seelische Abwehr- und Immunsystem.
 
Symbiose
 
Symbiose ist das, was wir Menschen als anfängliche Beziehungserfahrung im Mutterleib mit ins Leben bringen: wir sind abhängig, klein und schwach. Wir sind ein Teil der Mutter, leben in ihrem Raum, von und mit ihr, ohne eigene Grenze, ohne eigenes Selbst. Die Mutter stellt eigene Bedürfnisse zurück, schwingt sich empathisch auf das Kind ein. Auch sie orientiert sich hier mehr nach dem werdenden Kind als nach ihrem Selbst. Diese extrem ausgeprägte und ganz spezielle Form der Symbiose endet mit der Geburt, der Abnabelung und dem ersten Atemzug. In der weiteren Entwicklung des Kindes folgen dem ersten „Nein“ mit ca. 1,5 Jahren die Trotzphase und schließlich die Ablösung in der Pubertät. Alles notwendige Schritte auf dem Weg zu einer eigenständigen und autonomen Persönlichkeit. Entscheidend ist nun, auf welche Antworten und Reaktionen ein Kind bei diesen Entwicklungsschritten trifft. Mütter, bzw. Eltern, die selbst gut Nein sagen können, werden ihr Kind darin wohlwollend und unterstützend begleiten können und es ihm so ermöglichen, sich schrittweise abzugrenzen und auch fremde Grenzen respektieren zu lernen. Nicht immer läuft es optimal, es gibt Störungen, Beeinträchtigungen und Blockaden durch:
 
  • Verlust-Trauma,
  • Gewalt-Trauma,
  • Prägung durch selbst traumatisierte Eltern.
Diese Erfahrungen beeinträchtigen das Gespür für den eigenen Raum, das eigene Selbst und eigene und fremde Grenzen. Dieses sich dadurch herausbildende „Symbiosemuster“ dauert dann im Erwachsenenalter an und kann alle Beziehungen und Lebensbereiche beeinträchtigen.
 
Ad 1) Verlust- Trauma
 
Jedes Kind ist mit seinen nahen Bezugspersonen identifiziert. Der Verlust einer solchen wichtigen Person vor der Pubertät- also vor der erlernten Abgrenzung- führt dazu, dass das Kind sich nicht verabschieden kann, dass das Kind weiter mit diesem Menschen identifiziert bleibt. Das blockiert seine Abgrenzungsfähigkeit gegenüber der Bezugsperson, aber auch gegenüber anderen Menschen. Es kann die Person und das gemeinsam mit ihr erlebte noch nicht sich Selbst, dem eigenen Selbst zuordnen. Um das Erlebte nicht auch zu verlieren, wird es als Introjekt festgehalten, eine intelligente Überlebensstrategie aus der Abhängigkeit heraus, die es auch zu würdigen gilt. Wie jedes Introjekt verhindert es aber auch hier eine klare Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremden – da Abgrenzung  zum Verlust des Introjektes führen würde, und damit zu Gefühlen von Schuld, Verrat oder Verlassenwerden. Das bewirkt ein oft unbewusstes, aber lebenslanges „Abgrenzungsverbot“. Ein Verlusttrauma kann durch Tod, Gefängnisaufenthalt eines Elternteils, Krieg, Scheidung etc. ausgelöst werden.
 
Ad 2) Gewalt- Trauma
 
Gewalt existiert in unterschiedlichen Formen, aber alle wirken sich ganz ähnlich aus. Es beeinträchtigt direkt die Fähigkeit zur Abgrenzung, die hier einem inneren Verbot unterliegt. Gewalt kann direkt körperlicher und /oder sexueller Art sein, aber emotionale Gewalt, die oft verborgener agiert, wirkt sich mindestens genauso destruktiv aus. Hierher gehört auch der spirituelle Missbrauch (die Caregiver geben sich als Stellvertreter Gottes und damit unfehlbar aus). Wie schon aus der Psychoanalyse bekannt, wird ein Gewalttrauma durch die sog. Identifikation mit dem Aggressor abgewehrt. Der Aggressor als „Introjekt“ verhindert sowohl die Verbindung mit dem eigenen Selbst- der Platz ist ja bereits belegt-, als auch die Abgrenzung. Eigene Selbstanteile müssen bisweilen ganz extrem abgespalten werden (dissoziative Phänomene).
 
Ad 3) traumatisierte Eltern
 
Eltern, die selbst durch Verluste oder Gewalt traumatisiert sind, erwarten meist unbewusst (per Projektion) vom Kind, dass es ihnen ersetzen soll, was ihnen selbst als Kind gefehlt hat und noch fehlt. Durch die Autonomiebedürfnisse des Kindes fühlen sich diese Eltern bedroht, und reagieren mit Liebesentzug, Ablehnung oder Auslösen von Schuldgefühlen. Um zu überleben, passt sich das Kind den Erwartungen an, und entwickelt das, was Kohut ein „Falsches Selbst“ nennt. Das Kind orientiert sich mehr an den Bedürfnissen der Eltern als am eigenen Selbst und so wird das Elternteil zum Introjekt.
Es ist nicht sinnvoll,  Traumatisierungen zu hierarchisieren. Nach dem Motto, was ist schlimmer oder weniger schlimm. Für das Gehirn ist das Mass an ungefiltertem Stress entscheidend, dem der Betroffene ausgesetzt ist. Der Effekt auf die Gesundheit ist kumulativ und nicht spezifisch.
 
Destruktives Symbiosemuster
 
Traumata wie oben beschrieben, existieren einzeln oder sehr oft auch kombiniert und führen zu dem, was Dr. Langlotz ein Symbiosemuster nannte. Das heißt, die destruktive Symbiose ist die gemeinsame Ursache der verschiedensten Störungen. Die Fähigkeit, den eigenen seelischen Raum zu kennen und zu spüren, der aktive Schutz des eigenen Raumes und der Kontakt zum eigenen Selbst können in unterschiedlich schwerem Umfang beeinträchtigt oder gestört sein. Bei mangelnder Grenze zwischen eigenem und fremdem Raum kann die Person nicht klar unterscheiden zwischen Ich und Du, auch nicht zwischen eigenem und fremdem Zuständigkeitsbereich. Das kann dazu führen, dass man sich in fremden Räumen zuständig fühlt und nützlich macht. Man übernimmt Rollen beim anderen oder eben auch dem Gegenüber Rollen im eigenen Inneren zuschreibt oder überlässt-  oder gar zu erwarten, dass der andere sich ebenso nützlich macht für und in unserem  Selbst. Das kann auf der Symptomebene große Erschöpfung oder auch Verwirrung in unterschiedlichem Grade bewirken.
Das beeinflusst auch das Gespür für die eigene Identität, es kommt zu einer Entfremdung vom eigenen Selbst (eigene tiefe Bedürfnisse, Überzeugungen und Werte) und verstärkten Orientierung an den Bedürfnissen und Überzeugungen der anderen Personen. Durch das Fehlen klarer Grenzen zwischen Eigenem und Fremdem kann sich auch das natürliche, konstruktive Aggressionspotential der Betroffenen nicht entfalten. Es fehlt ein gesunder Kanal, durch den Aggression (lat. adgredi, auf jemanden zu gehen) identitätsstiftend und -erhaltend wirken kann. Wie man an diesem Wortstamm sieht, war Aggression nicht primär etwas Negatives, sondern ist eine notwendige, auf den Anderen gerichtete Qualität, um in Kontakt zu gehen. Dieses natürliche Aggressionspotential sucht sich dann andere, „subversive Wege“ (Gefühle, vor allem die damit verbundene Energie, verschwinden ja nicht, nur weil ich sie mir verbiete. Das wissen wir schon aus der Physik bezogen auf den 1. Hauptsatz der Thermodynamik.) Es kommt zu Selbst- und Fremdschädigung.
Eine Abgrenzungsschwäche kann auch dazu führen, dass man ganz viel Abstand zu anderen Menschen halten muss, sozusagen in die Überabgrenzung (sog. Counterdependency) geht, um nicht verletzt zu werden, was wiederum einsam macht. Wenig Verbindung zum eigenen Selbst zu besitzen kann Menschen – meist gutgemeint – auch sehr übergriffig und dominant werden lassen, als Kompensation. Nach dem Motto: ich weiß besser als du selbst, was gut für dich ist – und sie verwechseln das mit Liebe.
 
Die Lösung: eine erwachsene autonome Beziehung
 
Ein gelebtes Symbiosemuster kann sich anfühlen wie tiefe Liebe, meist aber um den Preis der Aufgabe der eigenen Lebendigkeit, Autonomie und  Weiterentwicklung. Jede Veränderung des Partners wird in einer symbiotischen Beziehung eher als Bedrohung für das Beziehungsgefüge erlebt und aktiviert Verlassenheitsängste. Wenn es dagegen den Partnern gelingt, sich abzugrenzen und das eigene Selbst zu entwickeln, dann kann jede*r selbstbestimmt leben, sich zeigen, als der/die, der er/sie ist – unabhängig davon, ob der Andere ihn deshalb mag. Anziehung entsteht dann durch Authentizität und somit Bindung durch Anziehung und nicht durch Abhängigkeit. Eine neue Qualität.